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Katalog: MAC, Museu de Arte Contemporânea, São Paulo, 1982

„Innerhalb der Reichweite meiner Hände und weit darüber hinaus . . .“

Anmerkungen zur Malerei von Alfried Hagedorn


„Malerei ist offensichtlich etwas Flüchtiges, ein inneres Prinzip, und wenn man daran rührt, bewegt sich alles. Es zieht wie trockener, feiner Sand durch die Finger, wenn man seine Konturen festlegen will. Warten, dem Augenblick vertraue scheint, das Wesentliche seiner Malerei beschlossen; der ihr eigentümliche Schwebezustand wird hier als der Malerei intentional formuliert, als Absicht und Ziel der nicht-figurativen Malerei. So ist seine Bildwelt immer dann in sich stimmig, wenn sie, so paradox dies zunächst erscheinen mag, diese Unbestimmbarkeit wahrt.

Versucht man, Vorbilder und Einflussbereiche seiner Arbeit zu entschlüsseln, wird man zumindest im formalen und farblichen Bereich in Europa wenig Vergleichbares finden. Wichtig wurde für ihn ein mehr als zweijähriger Aufenthalt in Kyoto, ermöglicht durch ein Stipendium der japanischen Regierung und des DAAD, der entscheidend dazu beitrug, eine stets vorhandene Affinität zu ostasiatischem Gedankengut zu vertiefen, gleichzeitig seine noch unbewusste Position zu klären und sich selbst über den Umweg einer intensiveren Aneignung auch wieder in Distanz zu bringen.

Vorbilder in Europa sind weit eher im Bereich der Literatur zu suchen; Hölderlin drängt sich auf, oft fühlt man sich auch an Ernst Moritz Arndt erinnert, dann auch entfernt an Proust und Baudelaire. Freilich handelt es sich dabei nie um Illustrationen zu dem einen oder anderen Dichter, sondern um eine in sehr allgemeinen Bereichen angesiedelte geistige Nähe. Sicher kommt auch eine romantische, dem deutschen Idealismus verpflichtete Tradition zum Tragen, die nicht zuletzt in der Neigung zur theoretischen Begründung des eigenen Standpunktes ihren Niederschlag findet.

Wie es schwierig ist, für die Malerei von Hagedorn definitive Vorbilder zu bestimmen, so auch, sie innerhalb der gegenwärtigen Kunstszene fest zu verankern. Auffallend erscheint vielmehr, wenn man seine Arbeiten vor der Folie des zeitgenössischen Kunstgeschehens im größeren Kontext einer Ausstellung oder auch in der eher privaten Atmosphäre des Ateliers betrachtet, dass sie in keines der gängigen und derzeit aktuellen künstlerischen Konzepte vollständig zu passen scheinen. Sie sind nirgendwo fest und ausschließlich angesiedelt, weder - und das erscheint mir wesentlich - an einem bestimmten kulturellen Ort noch innerhalb einer der geläufigen Kunstrichtungen. Sie bewegen sich in einem Zwischenfeld, in einem positiven Verständnis unstabil und ortlos, auf der „Suche nach der verlorenen Zeit“ oder auch, im Sinne einer Paraphrasierung Prousts, der „ ... verlorenen Identität“. In dieser sehr eigenwillig formulierten Grundhaltung verbinden sich Skepsis und Selbstgewissheit zu einer für seine Generation recht typischen und damit letztlich dann auch sehr aktuellen Auffassung.

Die künstlerische Entwicklung verläuft dabei schrittweise, bedächtig, aber deshalb um so nachhaltiger vollzieht sich die „Abnabelung“ von seinem zeitweilig dominanten Lehrer Raimer Jochims, dann die vom japanischen Einflussbereich bis hin zu der jetzigen künstlerischen Auffassung, die nicht zuletzt als das Ergebnis einer ruhigen Hartnäckigkeit erscheint. Es gibt in seinem bisherigen Oeuvre ebenso wenig abrupte Stiländerungen wie lautstarke Gesten. Seine Bilder wollen den Betrachter nicht dominieren, ihn nicht überreden. Sie beeindrucken vielmehr durch ihre verhaltene, auf Dissonanzen verzichtende Schönheit, die in ihrer unaufdringlichen Präsenz besticht, ohne deshalb in einer dekorativen Attitüde zu erstarren. Innerhalb der neueren abstrakten Malerei gibt es selten einen vergleichbar intensiven Ausdruck des Ausgeliefertseins, der Schutzlosigkeit, der Verletzbarkeit. Diese Bildwirkung liegt ebenso in der Technik wie im formalen und farblichen Bereich begründet, denen Fragilität wesensimmanent ist. Entscheidenden Anteil daran hat seine spezielle Pinsellasurtechnik. Hagedorn malt mit verdünnter Acrylfarbe auf grundiertem Baumwollgewebe und erzielt damit im großen Format eine dem Aquarell vergleichbare Transparenz, die sich im Ansatz der japanischen Tuschmalerei verpflichtet weiß. Oft geht es ihm um die sinnlich nachvollziehbare Umsetzung des Materialcharakters der Farbe und damit verbundener Assoziationen (wie z. B. Licht und Dunkel als Gegensatz von durchsichtig und undurchsichtig, leicht und schwer).

Nebelige, ineinanderlaufende Farbschleier bedecken die Bildfläche, die manchmal durch Kürzel artige, an japanische Schriftzeichen erinnernde dunklere und undurchsichtige Pinselstriche überlagert werden. Insgesamt bleibt jedoch stets der Eindruck von Durchsichtigkeit, Schwerelosigkeit und damit Erdferne gewahrt. Die Technik ist dabei in doppelter Hinsicht fragil: sowohl in Bezug auf den Arbeitsprozess selbst als auch in ihrer sich dem Betrachter mitteilenden Bildwirkung. Der technische Vorgang erfordert außergewöhnliche Konzentration und Sensibilität, der Malprozess ist in sich leicht verletzbar; er verlangt Ausgeglichenheit, um weder zu leicht noch zu massiv zu geraten. Diese Verletzlichkeit vermittelt sich dann auch dem Betrachter, wobei kleinste Störungen im Bildgefüge die Balance ins Wanken bringen können. Denn problematisch werden die Bilder dann, wenn sie ihren wesensmäßigen Schwebezustand nicht durchhalten, wenn sie sich zu bestimmbaren Bildzeichen verdichten oder zu dissonanten, unnatürlichen Farben tendieren. Positiv formuliert erreicht Hagedorn die überzeugendsten Lösungen, wenn diese Balance formal, farblich und inhaltlich gewahrt bleibt, und ein „Urzustand“ erreicht wird, in dem eine unendliche Vielzahl verschiedener Entwicklungsmöglichkeiten anklingt.

Insofern ist auch das „Nicht verwurzelt sein“ in der einen oder anderen Kunstrichtung keineswegs mit Unentschiedenheit und Standpunktlosigkeit zu verwechseln. Vielmehr wird gerade dieses ,Nirgendwo-Angesiedelt sein“ zum eigentlichen Standort seiner Malerei. Es ist die Lautlosigkeit einer irrealen Sphäre, in der Natürliches anklingt; in der Bedeutungen aufscheinen, ohne sich zu konkretisieren. Hagedorns Bilder suggerieren eine immaterielle, dem Hier und Jetzt enthobene Zuständlichkeit, - eine Position, die gerade im Kontext der derzeitig aktuellen Malerei der „Jungen Wilden“ besonders zeitlos wirkt - dabei stets unprätentiös und in einem positiven Verständnis unspektakulär sich selbst behauptend.

Carla Schulz-Hoffmann

Staatsgemäldesammlungen München






Sichtbarer Ausdruck einer unsichtbaren Wirklichkeit

In den Bildern Hagedorns wird die Farbe mit hoher Bewusstheit und Konzentration gehandhabt. Die Farben sind leicht, leuchtend und transparent. Nicht wenige Bilder möchte man für Aquarelle halten, so luftig wirken sie trotz ihrer Größe. Der Farbauftrag ist fest und und zart zugleich, er reicht vom duftigen Hauch bis zu atmenden Dunkelheiten. An den Abstufungen erkennt man den vorzüglichen Koloristen...
Sein Pinselstrich ist sowohl spontan als auch diszipliniert. Er macht eine Wirklichkeit sichtbar, deren Natur abstrakt und geistig ist...

Die Bilder der letzten sechs Jahre zeigen eine große Vielfalt, der Farbe, ihrer Nuancierungen, der jeweiligen Dynamik und der Gliederung der Fläche. Sie scheinen nach Harmonie zu streben, jedoch wird die vollkommene Harmonie bewusst vermieden... Faszination und Ruhe gehen von Hagedorns Bildern aus - der sichtbare Ausdruck einer unsichtbaren Wirklichkeit.

Heike Marx

Galerie Derix, Taunusstein/ Wiesbaden






Kunsthalle Mannhein 1986
Kunstverein Lingen 1986

Vorwort

Die Malerei Alfried Hagedorns ist nicht programmatisch und entwickelt sich auch nicht in einem geschlossenen System oder in einem festgelegten Formenkanon, den er benutzt, um bestimmte Inhalte auszudrücken. Vielmehr trifft die Feststellung, die Carla Schulz-Hoffmann 1982 zur Charakterisierung der Malerei Hagedorns getroffen hat, zu, dass sie nirgendwo fest und ausschließlich angesiedelt ist, weder an einem bestimmten kulturellen Ort, noch innerhalb einer der geläufigen Kunstrichtungen. Betrachtet man seine meist großformatigen Bilder mit ihren ineinanderlaufenden und sich überlagernden transparenten Farbschleiern, die häufig eine Fülle von Assoziationen, die sich aber nur schwer eindeutig definieren lassen. Alfried Hagedorn schrieb in einem Text, dass er in seiner Malerei einen großen Kreis von Möglichkeiten umspannen wolle, indem er sein Wissen in Einklang mit seinem Können bringe. Und an einer anderen Stelle sagt er: ,,Diese Malerei, die das Abbilden vermeidet, ist frei, das zu zeigen, was zwischen den Dingen ist. Sie bedient sich der Andeutung, der Ambivalenz, und die Offenheit der Strukturen gestattet keinen endgültigen Zugriff. So bringt sie immer wieder alle Sinne des Beschauers zum Fließen, der darin seinen Bund mit der Welt sinnvoll erneuert.“
Diese Offenheit, die ein Merkmal der Malerei Alfried Hagedorns ist, mag zum einen aus seiner intensiven Beschäftigung mit Literatur und Philosophie, zum anderen aber auch aus einer großen Affinität zu Kultur und Denken Ostasiens herrühren, sie findet ihren Ausdruck in der großen Spannweite seiner Bilder zwischen Form und Farbe, die sich durch eine harmonische Ausgewogenheit auszeichnen. Aber sie rührt vor allem aus einem intensiven Nachdenken über den Sinn seines Tuns,über das Wesen der Dinge, denen er in seinen Bildern Ausdruck zu verleihen versucht. Meist entstehen diese Bilder, in denen Hagedorn bestimmte Empfindungen und Gefühle auszudrücken versucht, die von visuellen Erfahrungen oder von Stimmungen ausgelöst sein können, aus einem spontanen Ansatz, der dann in einem langsamen Prozeß ausgeführt wird. Das Arbeiten mit verdünnten Acrylfarben gibt ihm die Möglichkeit, viele transparente Farbschichten übereinanderzulegen, die den Eindruck von Durchsichtigkeit und zugleich auch Schwerelosigkeit entstehen lassen, der durch die häufig an Schriftzeichen erinnernden Formfragmente selten gestört wird. Diese Technik erfordert große Sensibilität und große Konzentration, verlangt eine innere Ausgeglichenheit, um die Bilder nicht zu schwer und massiv erscheinen zu lassen.

Hagedorns Bilder haben eine unaufdringliche Präsenz und beeindrucken durch ihre verhaltene Schönheit, vor allem dann, wenn er eine formale und farbliche Harmonie erreicht, die Carla Schulz-Hoffmann als einen ,,Urzustand“ bezeichnet, in dem verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten vorhanden sind, in dem Bedeutungen anklingen, ohne konkretisiert zu werden. Alfried Hagedorn hat sich immer wieder theoretisch zu seinem künstlerischen Ansatz geäußert und auf die Notwendigkeit der Besinnung auf die sinnliche Einheit der Welt verwiesen, deren wichtigste Bedingungen und Ausdrucksform die Vielfalt sei. Dies bildnerisch umzusetzen, ist das Ziel seiner Malerei, mit der er auch ihre Offenheit begründet. Carla Schulz-Hoffmann sagte: ,,Hagedorns Bilder suggerieren eine dem Hier und Jetzt enthobene Zuständlichkeit, - eine Position, die gerade im Kontext der derzeitig aktuellen Malerei der ,,Jungen Wilden“ besonders zeitlos wirkt - dabei stets unprätentiös und in seinem positiven Verhältnis unspektakulär sich selbst behauptend“.

Manfred Fath
Direktor Kunsthalle Mannheim

Heiner Scheepers
Direktor Kunstverein Lingen






Katalog: MAC, Museu de Arte Contemporânea, São Paulo

Vorwort

Alfried Hagedorn, ein deutscher Künstler, bringt uns Werke der Malerei, die mit der Richtung der informellen Abstraktion in Verbindung stehen. Die Elemente, welche die Komposition ausmachen, sind in seinen Bildern in einer sehr offenen Art und Weise eingesetzt. Er bedient sich vorwiegend bildnerischer Zeichen, die unsere Sensibilität durch die reinen, künstlerischen Mittel anzusprechen versuchen, im exakten Sinne des Wortes. Die großformatigen Bilder,ebenso wie die Arbeiten auf Papier sind echte künstlerische Schöpfungen und in ihrer Art vollkommen überzeugend, da sie den ihnen eingegebenen Geist deutlich hervortreten lassen.

Als, in den Anfängen der sogenannten Modernen Kunst, die Maler ihre mystischen und transzendentalen Empfindungen zum Ausdruck bringen wollten, benutzten sie die menschliche Figur als Träger ihrer Umsetzungen. So lehnte man sich im Expressionismus im allgemeinen hinsichtlich der Farbgebung an die Gedanken van Gogh's und der Symbolisten an. Diese gefühlsbetonte Ausdrucksform, war in der Mitte unseres Jahrhunderts - da nun einmal die Abstraktion in ihrer Entwicklung diese Möglichkeit aufgezeigt hatte - in der Lage sich auch mittels nicht-figurativer Werke auszudrücken; und neigte einerseits zur formalen Geometrie und andererseits zum reinen Kolorismus. Damit war in großem Ausmaß in Erscheinung getreten, was sich informelle Abstraktion nannte. Diese Richtung, die sich von Europa aus über die ganze Welt verbreitete, hat im Laufe der fruchtbaren Entwicklung ihrer Bildgattung, auch Formen aufgenommen, die sich insbesondere in der Kunst des Fernen Ostens herausgebildet hatten. Seit sich diese Malerei neben anderen Medien behauptet hat, hat sie verschiedene Phasen durchlaufen, die neue Bildkonzeptionen mit verschiedenartigsten Materialien einschließen, wie auch eine neue Figuration.

Dementsprechend können wir in der Kunst Alfried Hagedorns sehen, wie die nicht-figurative Malerei, in der erreichten Mannigfaltigkeit, neue Dimensionen erschlossen hat. Sie hat nichts von ihrer Intensität als Botschaft verloren, da sie uns mit Bildern konfrontiert, welche zu unmittelbarer Kontemplation einladen. So besteht für uns ein großes Interesse - innerhalb des Panoramas der zeitgenössischen Kunst - an der Ausstellung, die Alfried Hagedorn uns bringt und die er der Öffentlichkeit Sâo Paulos und Brasiliens vorstellt.

Prof. Dr. W. Pfeiffer

Direktor: MAC - Museum für Zeitgenössische Kunst, Säo Paulo






Katalog: Kunstalle Mannheim, 1986

“Es gibt kein Zurück”

Alfried Hagedorn gehört für mich zu den Malern, die nicht mit leicht abrufbaren Gewissheiten handeln. Er malt weder Erinnerungs- noch Erkennungsbilder, Pointen - im Sinne einer Auflösung möglicher Rätsel - werden nicht vermittelt, nicht einmal Geschichten erzählt; alle Bezüge zur sichtbaren Wirklichkeit, zur Welt der Dinge, der beschreibbaren, immer wiederkehrenden Gegenstände, sind ausgeklammert. Sieht man etwas genauer hin, ergibt sich bald ein - beunruhigendes? entspanntes? - Phantasieren. „Der Maler antwortet nicht auf das Tagesgeschehen, sondern operiert in verdrängten Grenzbereichen“, sagt Hagedorn. Auch dies: „Die Empfindung eines Mangels bestimmt sein Tun. “ Im Bild, so scheint es, wird die Abwesenheit des Wirklichen erkannt und akzeptiert; die Bilder selbst sind kein Ort für sichere Auskünfte: Wir sind zu nahe dran. Kein Abstand zwischen uns und dem Ungesicherten.

Ungesichertes, das heißt aber auch: Neues. Etwas, das noch nicht- noch nie - da war und jetzt unvermittelt ans Licht gekommen, ist. Hagedorns Bilder sind da, zur Verfügung stehen sie uns nicht. Muten sie dem Betrachter deshalb so viel zu ? Von der „Empfindung eines Mangels“ war die Rede. Aber welchen Mangels? Eines an Originalität sicher nicht. Als ich vor gut fünf Jahren zum ersten mal Bilder von Alfried Hagedorn in einer Heidelberger Ausstellung sah, hatte .der Maler seine Abhängigkeiten schon hinter sich, die Lehrjahre bei Raimer Jochims, die vielleicht prägende Beschäftigung mit der Kunst Japans. Was wir spüren, ist zunächst etwas anderes, ein Gefühl von Sättigung, vielleicht an unmittelbar sich mitteilender Emotion, bestimmt aber eines von Gleichgewicht, von austarierten, auf eine bündige Formel gebrachten Stimmungen, etwas tief Romantisches also (wenn man einmal bei den altgewohnten Vokabeln bleiben will). Ein begehrendes Subjekt auf der Suche nach sich selbst, ein Ich, das sich immer wieder neu erfinden will und auch muss; auch der Verzicht auf einen Standort, auf perspektivische Fluchtlinien, auf Illusion.

Hagedorns Malerei, wie gesagt, bildet nicht ab. Das, wovon sie zu sprechen vorgibt, ist das eigentlich Abwesende. Was wir sehen, sind Farben, sehr schöne, sehr kostbar wirkende Farben manchmal, die Kontakt zueinander aufnehmen, sich einander annähern und wieder voneinander entfernen, die schwerelos schweben und tropisch wuchern dürfen, die in sich kreisen, von Schwerpunkt zu Schwerpunkt wandern, unmerklich fast, die da sind oder auch schon wieder weg - nie aber hat man das Gefühl, dass sie ganz da seien. Hätten wir konkrete Bildgerüste, wir wüssten schon, an welcher Stelle wir uns befinden, aber so? Man „geht“ in ein Bild hinein, sucht sich dort den Weg, taucht wieder auf. Nimmt etwas mit. - Sicher ist aber auch dies: Hagedorns Bilder reden nicht jener Befindlichkeit das Wort, die subjektive Gefühlslagen oder - zustände nach außen kehrt. Sie enthalten sich des Kommentars, berufen sich nicht auf Vorgängiges, lassen ungesagt, was dem Maler zugestoßen ist; seine Souvenirs bleiben ihm allein. Jede Intentionalität scheint, jedenfalls soweit sie bestimmte Formvorstellungen betrifft, bewusst durchkreuzt. „Technik“, schrieb Jackson Pollock einmal, „ist das Resultat eines Bedürfnisses“. Alfried Hagedorn, wir vermuten es, hat sich selbst davon freigemacht. Ausdrücklich beruft er sich allein auf seinen Instinkt, die erlernten handwerklichen Fähigkeiten, auf eine Disziplin, die sich nicht immer und in jedem Augenblick auf ihre eigenen Voraussetzungen hin besinnen muss. „Kann ich nicht längst dieser inneren Instanz vertrauen, die Jahre des Malens herausgebildet haben?“ heißt es in einem Text von 1982. Damals war, an gleicher Stelle, auch von der „Anmut der Bewegung“ die Rede. Von der Mühe nicht.

Mühe ist freilich etwas, was man nicht unbedingt sehen muss. Hagedorns Bilder, soviel lässt sich schon sagen, existieren allein durch ihre Farben. Farben, die sichtbar nichts anderes sein wollen als Farben, die deshalb auch keine klar definierten Flächen, oder Räume, beschreiben dürfen und jede Verdichtung zu Zeichen, Symbolen oder Metaphern umgehen. Farben, die vor allem Haut sind, dünne, atmende, transparente, lichtdurchlässige Farbhaut - Filter, Membran, sagt Hagedorn - ein Ort, an dem Subjekt und Objekt, Innen und Außen, Bewegung und Ruhe, Energie und Widerstand, der Wunsch und seine Erfüllung einander begegnen und sich austauschen können.

In einem indessen sollte man sich nicht täuschen: der Instinkt, der sich hier, so anmaßend wie kühn, der Suche nach dem, was zwischen den Dingen ist, verschrieben hat, ist ein durchaus erworbener, kulturell vermittelter. Hagedorn ist alles andere als ein naiver Maler, der seinen Vorstellungen und Befindlichkeiten hinterherläuft, und wollte man nun doch nach den Vor-Bildern, nach den mehr oder minder konkreten Begründungen seines Tuns fragen, so wären diese wohl eher in seiner Lektüre und in seinen ausgedehnten Reisen nach Japan, Südostasien, die USA und Südamerika zu suchen als auf der gegenwärtigen Kunstszene, die ihn so wenig zu beachten scheint wie er sie. Dass er dabei durchweg eklektizistisch verfährt, ebenso Lao-Tse wie Giambattista Vico, Paul Valéry wie Bashô, den Haiku-Meister, Baudelaire wie Hölderlin nennt, gehört wohl mit zu den unbestrittenen Vorrechten eines alexandrinischen Zeitalters wie des unseren. Die kulturelle Beute steht dem Zeitgenossen und dem Künstler zur Verfügung, zur Wahl steht sie ihm nicht: „Weniger Analysieren, kein Trennen mehr, nicht mehr Gegenüberstehen, sondern Mittendrin sein... die Welt ist eine sinnliche Einheit, die uns einschließt, oder sie ist nicht.“

Aber vielleicht geht es auch nur darum, dass Gesichertes und Gefestigtes, alles, was nur irgendwie nach System aussieht, erst gar nicht auftauchen darf? Bildermalen, ist das nicht, die ganze neuere Kunstgeschichte steht da Zeuge, eine Realität für sich? Dass Bilder, die diesen Namen überhaupt verdienen, sich einer raschen Konsumierbarkeit zu enthalten hätten, gehört heutzutage zu den Forderungen, die man überall nachlesen kann. Auch Hagedorn hat sich dem Zwang zur unverwechselbar eigenen Handschrift auf komplizierte und riskante Weise unterworfen. Wo andere sich auf den einen einzigen Standpunkt zurückziehen, geht dieser Maler den umgekehrten Weg und öffnet sich ins Weite, dem Vertrauen in die eigenen Erfahrungen, den Zufällen und dem nicht immer Vorhersehbaren, das dieses Vertrauen notwendigerweise mit sich bringt. Das Risiko, das der Maler 'vor' jedem neuen Bild eingeht, wird als immer neue Herausforderung begriffen, deren Grenzen immer wieder neu und anders abgesteckt werden müssen. Nur ein Haltepunkt: Alles was geschieht, spielt sich innerhalb dessen ab, was die Hände erreichen können. Aber dann doch wieder die nicht zu überlesende, fast emphatische Ergänzung: „und weit darüber hinaus.“

Und weit darüber hinaus? Wie weit darüber hinaus, das ist eine sicher müßige, vergebliche Frage. Die Grenzen, die der Imagination gezogen sind, bleiben rätselhaft, hier wie anderswo auch. Die Bilder, so wenig sie auch von sich preisgeben mögen, bewahren die Gesten des Malers, übersetzen in Farbe, was sonst nicht sagbar wäre, es sei denn unter Verlust alles Wesentlichen, und eigentlich könnten wir uns damit dann auch zufrieden geben. Sicher: man kann auch über Farben reden, beschreiben, wie sie eine Fläche in Beschlag nehmen, wie sie sich ausbreiten, ihre Bewegungen, die Gangart, das ganz bestimmte Tempo, das sie anschlagen, begreifen, dass es in dieser Malerei hellere und dunklere Zeiten, Gelungenes und erst im Ansatz Formuliertes gibt und gegeben hat - und ist am Ende doch nicht viel weiter gekom-men als bis zur Erkenntnis, dass diese Bilder viel mit einem ganz bestimmten, nie mehr einzuholenden Augenblick zu tun haben müssen, dass wir es mit einem Ort, einem Kristallisationspunkt zu tun haben, an dem die Ereignisse plötzlich die eine, nur ihnen zugehörige Form gefunden haben, daß da ein „Bild“ ist, das zwar mit nichts als mit lauter Unbekannten zu rechnen scheint, aber zugleich auch eben die Instanz darstellt, auf die alle möglichen Lösungen sich hinzuordnen haben.

Sicherheit aber ist nirgends. Wie das ursprüngliche Motiv, der Einfall - gesetzt, wir hätten überhaupt mit ihm zu rechnen - sich zeigt, und welche Vorkehrungen der Maler trifft, in seinem Atelier, allein über die Weiße, noch unberührte Fläche gebeugt, wir wissen es nicht, lassen ihm sein Geheimnis, fragen nicht, wozu auch, danach. „Es gibt kein Zurück“, mahnt eine Bildüberschrift von 1983. Natürlich nicht, ist das Bild erst einmal da, sind Fragen und Antworten gegenstandslos, alle Wege zurück verschlossen. Das Bild ist, was es eben ist, freies Statement, Spiel der Imagination, fertig (gelungen): also anwesend.

Sigrid Feeser

Kunstkritikerin






"SingularPlural München Rom Paris, Lothringerstr.13, Kulturreferat München 1983


„ Wie bewundernswert ist doch,

Wer nicht denkt: „Das Leben ist vergänglich

Wenn er einen Blitz sieht. ”


Bashô, einer der Haikumeister, besitzt als wesentlichen Vorzug, wie dieser dem Anschein nach einfache Dreizeiler zeigt, vorzugeben, intelligibel zu sein, unmittelbar aufgefaßt werden zu können, ohne etwas mitzuteilen. Oder fast nichts mitzuteilen. Nur einige Worte, ein Bild, eine Empfindung. Schon tut sich ein Universum auf und bietet sich uns dar. Ähnlich scheint ALFRIED HAGEDORN vorzugehen. In dem Bild - Gelbe Bahn - entfaltet er eine vertikale Fläche, indem er drei ungleiche Bänder in einem scharfen und leichtem, aber gleichzeitig verhaltenem Gelb anlegt. Und in dieser Fläche tauchen plötzlich in schneller Geste, kurze und einschneidende schwarze Spuren auf - von der Ordnung einer Entscheidung - wie wenn jede ein Hieb in Haut wäre. Kurze, bündige Eingriffe, Ereignisse, die plötzlich ihre passenden Formen finden. Während er in anderen Bildern, Farbzonen, wie feuchte und tropische Felder sich ausbreiten läßt, die sich überdecken, eine aus der anderen durchsichtig sich bilden läßt. um - jedesmal - bei diesem rätselhaften und seltenen Augenblick anzugelangen, der der Ort der Malerei ist.

Gaya Goldcymer

Kunstkritikerin, Paris